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Bengali bzw. Bengalisch ist eine der 23 offiziell anerkannten Sprachen und Dialekte der Republik Indien laut der indischen Verfassung, genauer dem Eighth Schedule to the Constitution of India.
Es dauerte fast drei Jahre, bis die Verfassung Indiens fertig entworfen war, aber schließlich stimmte die erste gewählte konstituierende Versammlung zu. Jedes Mitglied dieser verfassungsgebenden Versammlung musste beide Versionen der Verfassung unterzeichnen – die in Hindi und die in englischer Sprache.
Ab diesem Moment waren Hindi und Englisch die Amtssprachen des indischen Staats. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass alle Bundesstaaten diese Sprachen als offizielle Sprachen verwenden …
Außer Englisch wurden noch 22 ursprüngliche Sprachen und Dialekte als offizielle Landessprachen in die Verfassung aufgenommen und die einzelnen Bundesstaaten konnten aus diesem "Katalog" wählen, welche Sprache(n) auf ihrem Gebiet als Amtssprachen fungieren sollte(n). Oft ist das mehr als nur eine Sprache. Der Grund ist ganz einfach: Die indische Bevölkerung ist wahnsinnig heterogen, was den Sprachgebrauch angeht. Sich selbst nur in einem Bundesstaat auf eine Sprache zu begrenzen, wäre fast unmöglich und würde der Bevölkerung nicht gerecht.
Einige der wichtigsten Sprachen Indiens (neben Hindi, Englisch und der mundartlichen Mischform "Hinglish") sind Marathi, Tamil bzw. Tamilisch und Urdu. Das sind mit die Bekanntesten, unter anderem auch, weil Urdu die Nationalsprache Pakistans und Hindi (zumindest im Mündlichen) sehr ähnlich ist. Tamilisch wiederum wird auch in Sri Lanka gesprochen.
Doch es gibt noch zahlreiche weitere Sprachen, die auf dem indischen Subkontinent gesprochen werden und das ist kein Wunder. Denn die ersten heute bekannten Spuren von Zivilisation in Indien sind 3.000 Jahre alt! Und in den letzten 600 Jahren stand Indien unter der Herrschaft dreier verschiedener Reiche. So sind sich zahlreiche Kulturen begegnet, haben sich vermischt und weiterentwickelt und auch wenn die Geschichte nicht immer positiv war für Indien, ist es doch Teil der heutigen reichhaltigen Kultur.
“Viele Menschen im Westen sind erstaunt über Indiens sprachliche Vielfalt. Es gibt dort fast 30 verschiedene Sprachen mit jeweils mindestens 1 Mio. Muttersprachlern. Es gibt mehr Tamil-Muttersprachler auf der Welt als Italienisch-Muttersprachler. Genauso sprechen mehr Menschen Panjabi als Deutsch, mehr Marathi als Französisch und mehr Bengali als Russisch. Die Zahl der Telugu-Sprecher ist höher als diejenige der Sprecher von Tschechisch, Niederländisch, Dänisch, Finnisch, Griechisch, Slowakisch und Schwedisch zusammen!" – Bob Harris
Heute möchten wir uns eine der oben genannten Sprachen genauer ansehen, und zwar Bengalisch bzw. Bengali.
Bengalisch – die Ursprünge
Bengalisch entstand ursprünglich im östlichen Teil Indiens. Es wird vermutet, das es sich vor ca. 3.000 Jahren aus den antiken indischen Sprachen Sanskrit und Ardhamagadhi entwickelt hat.

Erste dialektale Formen des sog. "Proto-Bengali" entwickelten sich in drei Sprachgruppen weiter: Bengali-Assamese, Bihari und Odia.
Proto-Bengali war zwar während 400 Jahren die offizielle Sprache der herrschenden Pala-Dynastie, doch das heutige Bengalisch entstand erst unter dem Sultanat von Bengalen in seiner tatsächlichen Form. Das Reich wurde infolge der muslimischen Eroberung des indischen Subkontinents im 14. Jahrhundert gegründet.
Die Entstehung dieses Sultanats lief wie folgt ab: Der eigentlich unter dem Sultanat von Delhi stehende Statthalter (Gouverneur) von Bengalen erklärte die Region als unabhängig und setzte sich selbst auf den Thron. Obwohl die herrschenden Dynastien Muslime waren und Persisch als Erstsprache verwendeten, hatte Bengalisch am Hofe des Sultans einen gleichwertigen Status inne und war eine der Amtssprachen.
Die Wörter Bangal (was später zur Bezeichnung "Bangladesch" führte) und Bengal (> "Bengalisch") erschienen zum ersten Mal zur Zeit des gleinchnamigen Sultanats. Zur gleichen Zeit wurden auch Wörter (Vokabeln) und linguistische Besonderheiten (besondere Verben, Grammatik, Syntax, Aussprache usw.) aus dem Persischen und Arabischen ins Bengalische übernommen.
Die moderne Form von Bengali entstand während des 19. und 20. Jahrhunderts und basiert auf dem Dialekt, der in der Region Nadia gesprochen wird (heutzutage Teil des indischen Bundesstaats Westbengalen). Der Großteil des Wortschatzes dieser modernen Form ist aus den Sprachen Ardhamagadhi und Pali entlehnt. Doch es finden sich auch einige Wörter aus Sanskrit, Persisch und Arabisch sowie anderen asiatischen Sprachen wieder.
“Ich lernte in meiner Muttersprache Bengali singen und begann dann, nach und nach auch in Hindi, Telugu, Tamil, Gujarati und allen möglichen anderen indischen Sprachen zu singen." – Shreya Ghoshal, indische Playback-Sängerin
Wusstest Du, dass Englisch und Hindi zu den offiziellen Sprachen der indischen Regierung gehören? Welche Rolle Englisch in Indien spielt, erfährst Du hier!
Bengali-Varietäten in India
Wikipedia definiert den Begriff Varietät wie folgt: "Der Begriff Varietät, auch Sprachvarietät, bezeichnet in der Sprachwissenschaft eine bestimmte Ausprägung einer Einzelsprache, die diese Einzelsprache ergänzt, erweitert oder modifiziert, jedoch nicht unabhängig von dieser existieren kann. Von Varietät spricht man jedoch nur, wenn die Sprachformen einer untersuchten Gruppe eindeutige sprachliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Teilgebiete der Sprachwissenschaft, die sich mit der Untersuchung von Varietäten beschäftigen, sind die Varietätenlinguistik, die Soziolinguistik und die Dialektologie, zudem im Zusammenhang mit Sprachwandelprozessen, die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft."
Heutzutage wird Bengalisch hauptsächlich in den Bundesstaaten Westbengalen, Tripura und in Teilen von Assam sowie auf den Andamanen und Nikobaren gesprochen. Allein in Indien sprechen mehr als 80 Mio. Menschen Bengali.
Bengali wurde im Bundesstaat Jharkhand (grenzt im Osten an Westbengalen an) außerdem als zweite offizielle Amtssprache anerkannt. Auch außerhalb der Region Bengalen gibt es Bengali-Communities: v.a. in Delhi, Mumbai, wo die offizielle Sprache Marathi ist, Varanasi und Vrindavan.
Chakma ist eine Varietät des Bengalischen (bzw. hat sich daraus zu einer eigenen Sprache entwickelt) und wird von rund 400.000 Menschen in Assam, Tripura und Mizoram gesprochen. Das Volk der Rajbongshi (das über Indien und Bangladesch verteilt ist) spricht ebenfalls eine eng mit Bengali verwandte Sprache: Ranpuri. Insgesamt verfügt Bengalisch über extrem viele Varietäten und Formen bzw. miteinander verwandte, aber eigenständige Sprachen.
Sadhu-bhasa (was so viel bedeutet wie "aufrichtige Sprache") war die förmliche Form von Bengali. Sie zeichnete sich durch lange Verbflexionen und ein hauptsächlich aus Pala und Sanskrit entlehntem Vokabular aus. Heutzutage wird diese Form kaum noch verwendet (außer bei ganz förmlichen offiziellen Anlässen).

Stattdessen spricht man heute eher Cholito-bhasa (was so viel bedeutet wie "laufende Sprache"), die vorwiegend mündliche, umgangssprachliche Form von Bengalisch. Sie wird durch kurze Verbformen und eine hohe Alltagstauglichkeit charakterisiert und ist inzwischen die Standardform des Bengalischen. Im Endeffekt hat die kürzere, praktikablere Form des Bengalischen die förmlichere, eher schriftliche Form im 19. Jahrhundert abgelöst – und das nicht zuletzt dank einiger berühmter Bengali-Schriftsteller.
Doch wie das bei den meisten Sprachen der Fall ist, variieren die gesprochenen Formen von Region zu Region und einige Bengali-Dialekte (wie beispielsweise der, der in der Region Chittagong in Bangladesch gesprochen wird) können von "Hochbengalisch"-Sprechern in Kalkutta kaum verstanden werden. Aber wen wundert's? Eine Person aus Hamburg versteht einen Bayer mit starkem Dialekt auch nicht so gut, vom Schweizerdeutschen mal ganz zu schweigen …
Was noch interessant ist: Selbst wenn man eigentlich den gleichen Bengali-Dialekt spricht, kann es sein, dass man je nach Religionszugehörigkeit verschiedene Wörter benutzt: Hindus eher Wörter aus dem Sanskrit und Muslime eher Wörter aus dem Persischen oder Arabischen.
Du siehst also: Bengalisch ist eine sehr flexible und anpassungsfähige Sprache!
“Bengalen lieben es, ihre Sprache, Kultur, Politik [und] starkes Zugehörigkeitsgefühl zu [Kalkutta] […] zu feiern […]." – Bharati Mukherjee, amerikanischer Autor und emeritierter Professor am Englischinstitut der University of California
Das Bengali-Alphabet
Linguisten gehen davon aus, dass sich das bengalische Alphabet vor etwa 1.000 Jahren aus der Brahmi-Schrift entwickelt hat. Die Abugida-Schrift, die im Bengalischen verwendet wird, hat Buchstaben für Konsonanten, diakritische Zeichen (Akzente) für Vokale und verwendet einen Vokallaut (অ ô) für Konsonanten, die nicht durch einen anderen Vokal markiert sind.

Diese Schrift namens Nagari wird in allen Bundesstaaten verwendet, die Bengali als Amtssprache (oder eine von mehreren Amtssprachen) verwenden: Assam, Westbengalen und Tripura. Sie wird aber auch in Bangladesch verwendet, und zwar anstatt eines arabischen Alphabets – obwohl der Großteil der Bevölkerung Muslime sind.
Das Nagari-Skript wird immer kursiv und von links nach rechts geschrieben und unterscheidet nicht zwischen Groß- und Kleinbuchstaben. Alle Satzzeichen außer einem wurden aus dem Lateinischen Alphabet übernommen und werden auch gleich verwendet (im Gegensatz zum Griechischen z.B., wo das Semikolon/der Strichpunkt als Fragezeichen verwendet wird). Das einzige nicht-lateinische Satzzeichen im Bengalischen ist ein vertikaler Strich (।), der dem lateinischen Punkt entspricht.
Das bengalische Alphabet verfügt über 11 Zeichen, die 9 Vokale und 2 Diphtonge darstellen, sowie über 39 Zeichen, die Konsonanten und Modifikatoren darstellen.
Die bengalische Schrift zeichnet sich außerdem durch eine horizontale Linie aus, die alle Zeichen eines Schriftstücks oben miteinander verbindet. Sie wird (মাত্রা) matra genannt und ähnelt der verbindenden Linie, die man aus dem Devanagari-Alphabet kennt, das für Hindi verwendet wird.
Bengalisch außerhalb Indiens
Bengali ist nicht nur die Sprache mit der zweitgrößten Sprecherzahl in Indien, sondern auch die am weitesten verbreitete Sprache in Bangladesch, was es de facto zur Nationalsprache macht. Denn 98% der Bevölkerung Bangladeschs sind Bengali-Muttersprachler.
Aufgrund verschiedener Migrationswellen gibt es auch außerhalb des indischen Subkontinents bedeutende Bengali-Communities: im Nahen Osten, den USA, Singapur, Malaysia, Australien, Kanada, Großbritannien und Italien.
Insgesamt geben zwischen 250 und 300 Mio. Menschen rund um den Globus Bengalisch als ihre Muttersprache an, wodurch die Sprache auf Rang 7 der am meisten gesprochenen Sprachen der Welt ist! Aus diesem Grund haben der indische Bundesstaat Westbengalen sowie der Staat Bangladesch beantragt, Bengalisch auf die Liste der offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen aufzunehmen (neben dem Modernen Hocharabisch, traditionellem Chinesisch und vereinfachtem Chinesisch, Englisch (BE), Französisch, Russisch und Spanisch).

Übrigens: Sowohl die Nationalhymne Bangladeschs (“Amar Sonar Bangla”) als auch jene Indiens ("Jana Gana Mana") wurden auf Bengalisch verfasst.
"Jana Gana Mana" wurde vom Dichter und Universalgelehrten Rabindranath Tagore geschrieben. Die Hymne wurde der verfassungsgebenden Versammlung zum ersten Mal am 14. August 1947 um Mitternacht vorgetragen, allerdings in der Hindi-Version.
Bengalische Originalversion:
জনগণমন-অধিনায়ক জয় হে ভারতভাগ্যবিধাতা!
পঞ্জাব সিন্ধু গুজরাট মরাঠা দ্রাবিড় উৎকল বঙ্গ
বিন্ধ্য হিমাচল যমুনা গঙ্গা উচ্ছলজলধিতরঙ্গ
তব শুভ নামে জাগে, তব শুভ আশিস[i] মাগে,
গাহে তব জয়গাথা।
জনগণমঙ্গলদায়ক জয় হে ভারতভাগ্যবিধাতা!
জয় হে, জয় হে, জয় হে, জয় জয় জয় জয় হে॥
Übersetzung:
Herrscher über den Geist des Volkes, Heil Dir,
Indiens Schicksalslenker!
Punjab, Sindh, Gujarat, Maratha,
Dravida, Utkal und Bengalen,
das Vindhya-Gebirge, der Himalaya, die Yamuna, der Ganges,
die hohen Wogen des Ozeans,
erwachen durch deinen glückverheißenden Namen,
erbitten deinen glückverheißenden Segen,
singen dein Siegeslied.
Glückbringer des Volkes, Heil Dir,
Indiens Schicksalslenker!
Heil Dir! Heil Dir! Heil Dir!
Heil, Heil, Heil, Heil Dir!
Na, hast Du Lust bekommen, dich näher mit den Sprachen Indiens auseinanderzusetzen und Dich vielleicht selbst mal wieder dem Sprachenlernen zu widmen? Wie wäre es mit Hindi lernen oder Bengali lernen? Tauche jetzt ein in die faszinierende Welt der Sprachen des indischen Subkontinents!
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